Atempause: KZ-Überlebende auf dem Weg nach Hause und zu einem neuen Leben. Drama nach Primo Levis Erfahrungen.
Der italienische Regisseur Francesco Rosi („Wer erschoß Salvatore G.?“, „Hände über der Stadt“) schließt in seinem jüngsten Film wieder an sein linkspolitisches Engagement an und widmet sich erstmals einem Holocaust-Stoff. Nach einer literarischen Vorlage, dem gleichnamigen autobiografischen Buch des Auschwitz-Überlebenden Primo Levi, ist „Die Atempause“ der ungewöhnliche Versuch eines hoffnungsvoll dem Leben zugewandten Films zur KZ-Thematik. Mit John Turturro in der Levi-Rolle gelingt der Balanceakt zwischen dokumentarischem Faktenwissen und subjektiver Fiktion nicht immer nahtlos, vermag aber dennoch als eine dichte Folge unglaublich abenteuerlicher Begegnungen und Situationen zu fesseln.
Rosis Film beginnt da, wo „Schindlers Liste“ aufhört. Das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau wir von der Roten Armee befreit. Es ist der 27. Januar 1945. Für Primo, einen jungen italienischen Chemiker, beginnt nun die exemplarische Odyssee einer Heimkehr auf absurd verschlungenen Umwegen, die das Horror-Surrealismus-Szenario des Nazi-Vernichtungslagers auf aberwitzige Weise fortsetzen. Es herrscht noch immer Krieg in Europa, und die befreiten Häftlinge, Italiener, Polen, Tschechen, Franzosen, Griechen, Deutsche, irren orientierungslos durch verwüstetes Niemandsland. Statt nach Süden und Westen bewegen sie sich in entgegengesetzter Richtung. Nach Weißrussland, in die Ukraine, über Rumänen, Ungarn, Österreich, München treibt es Primo und seinen Reisegefährten, den rauhen, aber herzlichen Griechen, seinen für Überlebens-Egoismus plädierenden Freund Cesare und den religiös empfindenden Daniele. Er ist es, der den im Lager zum Atheisten gewordenen Primo Levi dazu bewegen kann, die Erlebnisse der Häftlinge aufzuschreiben. So wird aus dem mit Vorliebe ironischen und humorbegabten distanzierten Beobachter einer der bedeutensten literarischen Chronisten des Holocaust.
Francesco Rosi, selbst Coautor des Drehbuchs, verwendet die originalen Texte von Primo Levi geschickt als erinnernden Off-Kommentar und schafft so einen Ton der Melancholie, der gut mit dem Aberwitz der abenteuerlichen Situation kontrastiert, in die Primo auf seiner Odyssee gerät. Abhängig davon, welche Eisenbahnlinien funktionieren, sind die Deportierten in einem heftigen Zickzack-Kurs unterwegs. Der wachsende Überlebenswille und der Hunger treibt Primo zu einer gespenstischen Clownsnummer als gackerndes Huhn, so daß der Bauer sich erweichen läßt, den ausgemergelten Gestalten etwas zu essen gibt. Und obwohl der Film sich Mühe gibt, nicht in falsche Sentimentalität zu gleiten, gibt es doch immer wieder Momente, in denen man sich ein gesprochenes Wort auch mal ohne die vollmundige Musik von Luis Bacalov wünscht. Und eine Szene in München, wo Primo seiner Heimatstadt Turin chon sehr nah ist, zeigt ein bei Rosi sonst höchst ungewohntes Pathos im spontanen Kniefall eines Deutschen beim Anblick von Primo in seiner KZ-Kleidung mit dem gelben Stern.
John Turturros darstellerische Leistung allerdings ist bemerkenswert minimalistisch und zurückgenommen, wodurch er dem Film eine nachdenkliche Ebene fast literarischer Stilisierung gibt. Mann möchte sofort das Buch von Primo Levi lesen und noch mehr über diese Reise vor allem auch ins Innere jener Menschen erfahren, die sich nach dem Holocaust-Horror ihren eigenen Gefühlen neu stellen müssen. „Im Angesicht der Freiheit fühlten wir uns verloren, kraftlos“, schreibt Levi 20 Jahre später. An dem Film konnte er nicht mehr mitarbeiten, er hatte 1987 den Freitod gewählt. Francesco Rosi setzt ihm ein gefühlsstarkes filmisches Denkmal. fh.