Fandango - Members Only: Tiefgründige Popballade über drei verlorene Seelen, eine Abrechnung mit der Fun-Generation der Neunziger.
Tief ins Herz der von deutschen Filmemachern weitgehend missachteten DJ- und Clubszene dringt Matthias Glasner („
Sexy Sadie„) mit seinem visuell bestechenden dritten Kinofilm ein. Was sich zunächst vordergründig als mit Richy Müller, Moritz Bleibtreu und Nicolette Krebitz hochkarätig besetzte Mischung aus Dreiecks-Lovestory und Tarantinoeskem Krimi präsentiert, entpuppt sich beim genauen Hinsehen als durchaus tiefgründige, todtraurige Popballade über drei verlorene Seelen, die die Fun-Generation und ihre inhaltlichen Leere am Ende der Neunziger für bankrott erklärt.
Nur vordergründig geht die Party in der grotesk übersteigerten Dauerdisco von Glasners Antwort auf Brett Easton Ellis‘ „Glamorama“ ohne Unterlass immer weiter. Für die drei Hauptfiguren nämlich ist der absolute Stillstand erreicht, lassen sich die mit immer neuen Feten übertünchten Brüche im Leben nicht mehr länger kaschieren. Shirley Maus will Model werden, blitzt aber überall ab, weil sie zu klein ist, und doch gibt sie ihren hoffnungslosen Traum nicht auf. Lupo ist ein knallharter Typ, der nur bei Shirley schwach wird und sie am liebsten heiraten würde. Und DJ Sunny mimt den Blinden, weil er sich aus jeder Verantwortung heraushalten will, seit sein bester Kumpel Akira von der Polizei hopps genommen wurde. In einem 40-minütigen Feuerwerk der Ideen, perfekt durchgestylt im hyperrealistischen Fashionlook, als blätterte man sich durch eine Ausgabe der Zeitgeistbibel „The Face“, werden die drei Protagonisten aus ständig wechselnder Perspektive vorgestellt, kreuzen sich ihre Wege, ohne dass sie je zusammenfänden. Aufregender und moderner kann Film kaum sein als diese Exposition, die den Zuschauer im prickelnden Downloadstil von „Fight Club“ förmlich in ihre kühle Kunstwelt hineinsaugt - an einen Ort, an dem die Realität längst von popkultureller Ikonografie und der ewigen Dauerberieselung hohler Werbebilder überholt wurde. Entsprechend hilflos kämpft sich das Trio durch seine Existenz aus Bits und Beats (letztere atemberaubend beigesteuert von Fetish und Meister von dem DJ-Kollektiv Terranova). Ein Koffer voller Drogen für den diabolischen Duke (meisterhaftes Overacting: Corinna Harfouch als kahlrasierter Satan im Latexgewand) lässt die Drei schließlich buchstäblich mit einem Knall zusammenkommen und die Geschichte ins Rollen kommen.
Tatsächlich beginnen hier auch die Probleme des Films, der sich bis zum halluzinatorischen Showdown im höllischen Amüsierzimmer des Duke nie so recht entscheiden kann, ob es ihm auf die langsam aufkeimende Liebesgeschichte von Shirley und Sunny oder seine stilisierte Designer-Krimihandlung, eine Art „Der Eisbär“ auf Amphetaminen ankommt. Ein überraschend holpriger Schnitt und fasriger Rhythmus in diesen Passagen mag belegen, dass auch Matthias Glasner hin- und hergerissen war. Tatsächlich macht so manche Imperfektion Sinn, wenn man den Regisseur als vierten Protagonisten betrachtet, der mit seinem Filmmaterial offensichtlich nicht weniger gekämpft hat als es seine Protagonisten im Film mit ihrer Existenz tun. Und trotz mancher Abstriche bleibt ein Film, der zwar das „totale Fandango“ (Zitat Lupo) sein mag, aber immer wieder mit einer Vision (Sonderlob an Kamerafrau Sonja Rom!) und inhaltlichen Wehmut begeistert, die an Wong Kar-Wai erinnert, gleichzeitig aber nicht zuletzt aufgrund der prächtig anzusehenden Moritz Bleibtreu (als Null-Bock-Knuddelhippie), Richy Müller (als deutscher Harvey Keitel) und Nicolette Krebitz (als Szenegirl jenseits des Nervenzusammenbruchs) auch kommerziell für Überraschungen gut ist. ts.