Anna Ditges führt Hilde Domin im Off-Kommentar als schwierig ein - im Umgang mit Medienvertretern. Wir sind auf alles gefasst, aber immerhin hat die Filmemacherin eine persönliche Einladung und tatsächlich ist Domin auch offen und bereit der jungen Frau alles zu zeigen was ihr Leben ausmacht. Wahrscheinlich ist es die Ahnung, dass ihr nicht mehr viel Zeit bleibt, der Nachwelt ein Gedenken an sich zu überlassen. Die verschiedenen Stationen eines langen Menschenlebens werden mit Fotos dokumentiert und Domin zu einer der letzten Zeugen einer längst vergangenen Zeit.
Das erste Fremdeln zwischen Ditges und Domin weicht zunehmend einem vertrauensvollen Umgang. Aus den formalen Treffen werden freundschaftliche Besuche bei denen nicht mehr ganz klar ist, ob es um den Film oder Gesellschaft für die etwas einsame Dame geht. Die anfangs noch durch unsichere Gesten überspielten Pausen im Gespräch werden zunehmend zu natürlichen und gemeinsamen Schweigeminuten.
Domin, deren Nachname nur ein Pseudonym ist, wollte damit an ihre Exilheimat, die Dominikanische Republik erinnern. Während der Nazizeit war die Jüdin mit ihrem Lebensgefährten Erwin Walter Palm über verschiedene Stationen schließlich im Südseeparadies gelandet, wo ein Diktator herrschte, der sein Volk unterdrückte, aber europäische Flüchtlinge gerne aufnahm um die Population einzuweißen. Über dieses Paradox zu sprechen ist einer der Momente in denen die alte Dame sich weigert Auskunft zu geben.
Der greifbaren Endlichkeit des Zusammenseins sind sich beide stets bewusst, nur so lässt sich erklären, warum Domin Ditges überhaupt noch filmen lässt, denn zunehmend werden ihr die Aufnahmen lästiger. Aber, dass in dem knitterigen Körper ein wacher und klarer Geist wohnt, der mit seinem äußeren Erscheinungsbild nicht kongruent ist, dass bekundet Hilde Domin einige Male. Sieht sie sich im Spiegel an oder sieht sie eine Büste von sich, scheint sie selbst immer zu erschrecken ob der Metamorphose, die ihr Körper hinter sich gebracht hat.
Ich will nicht
ich will nicht so nah
sagt sie einmal, wenn die Filmemacherin ihr mit der Kamera zu nahe rückt. Es handelt sich aber nicht um ein Übertreten der körperlichen Grenzen, es geht ihr um ihr Äußeres, ihre Runzeln, das wird sie später bestätigen. Anna Ditges gehorcht brav und tritt einen Schritt zurück und zoomt zeitgleich wieder auf die gerade verlassene Kadrierung.
Selbstbewusst aber immer charmant, manchmal schmeichelnd, manchmal ratlos überschreitet Ditges die Grenzen der oft ruppigen Dame. Sie weiß, und das wird sich am Ende leider bestätigen, dass sie in höherem Auftrag handelt und die letzten Aufnahmen der Dichterin aufzeichnet. Das alleine ist ihr Schwert mit dem sie sich immer wieder den eigentlichen Grund ihrer Anwesenheit das Filmen erkämpfen muss.
Anna Ditges gelang ein eindrückliches Porträt einer Jahrhundertzeugin, die ihre Sicht auf die Ereignisse dieser Jahre erzählt und dabei ihre ganz persönliche Geschichte aufrollt bis zu ihrem aktuellen, einsamem Leben im Alter.
Im Januar 2006 starb Hilde Domin.
Fazit: Dokumentarfilm über die Lyrikerin Hilde Domin, die einer jungen Filmemacherin nicht nur ihre Tür, sondern ihr Herz öffnet und Einblick in ihr vergangenes und aktuelles Leben gibt.