Giulio Andreotti hat die Politik Italiens seit den 40er Jahren dominiert. Von den 70ern bis in die 90er war er sieben Mal Ministerpräsident und unzählige Male Minister in anderen Regierungen. Andreotti ist die Verkörperung absoluter Macht. Einer Macht, der gar nicht beizukommen ist. Genau das macht ihn zum Idealprotagonisten eines Gangsterfilms.
Denn Paolo Sorrentinos Film ist alles andere als dröge Politikerbiographie. Er begreift die Geschichte seines Landes und liegt damit sicher nicht ganz falsch als unauflösbares Geflecht zwischen Politik, Kirche, Mafia und damals in geringerem Maße als heute unter Berlusconi Medien. Und der Mann, der alle Fäden in der Hand hält oder der zumindest weiß, wer an welchem Faden ziehen kann: das ist Andreotti, il divo, der Göttliche.
Sorrentino lässt seinen Film als Gangsterkracher beginnen, mit einer Menge Ermordungen von Politikern, Bankern, Journalisten; um dann die Clique um Andreotti vorzustellen, in slow motion, mit den arroganten Gesichtern der Macht, mit Einblendungen von Namen, Stellung und Spitzname: Der Hai, Lemon, Seine Heiligkeit, etc. Wie es halt so ist im Syndikat.
Dann beginnt der Film ein Puzzlespiel, springt chronologisch von hier nach dort, lässt Figuren auftauchen und verschwinden und bleibt genau damit ganz nah an der Undurchschaubarkeit Andreottis. Der von gar nichts weiß. Der aber ein riesiges Archiv hat mit allen Informationen über all seine Mitarbeiter, Feinde oder die, die es werden könnten...
Wahre Macht äußert sich nicht in Aggressivität, in Drohungen oder in Überheblichkeit. Wahre Macht zeigt sich darin, dass andere diese Macht anerkennen. Andreotti wird dargestellt von einem wunderbaren Toni Servillo, der ganz schmal, ganz defensiv, körperbeherrscht, zugeknöpft, kantig ist. Unnahbar, undurchschaubar, ein Mann ohne Eigenschaften genau das wirkt auf den anderen einschüchternd, die Diskrepanz zwischen unscheinbarer Erscheinung und vollmächtigem Sein. Wie er durch die Straße schreitet, unruhig durch seine Wohnung ruckt, wie andere kleinste Regungen seiner Hände zu deuten versuchten: es ist ein Faszinosum, wie ein so dröger Typ einen ganzen Film tragen kann; doch genau das ist der Fall.
In Verbindung natürlich mit den großartigen Bildern und Sequenzen, die Sorrentino erschafft: ob das die weiße Katze ist mit einem gelben und einem blauen Auge, die im Regierungsschloss Andreotti bei seiner siebten Amtseinführung im Weg sitzt, ob das ein Skateboard ist, das durch die Parlamentslobby fährt und in eine Attentatsexplosion mündet. Er schneidet ein Pferderennen gegen einen Killer auf einem Motorrad, und immer wieder scheinen die Figuren aus sich, aus dem Film herauszutreten für einen fast theaterhaften Monolog der dann sofort wieder ironisch gebrochen wird, durch die nächste Szene oder durch die Popmusik, die so gar nicht zu den Politgangstern passt und gerade deshalb so richtig ist. Der Dreh- und Angelpunkt meines Blicks auf die Welt ist die Ironie. Das Leben ist tragisch genug, und Ironie das beste Gegenmittel; erklärt Sorrentino. Und Andreotti selbst betont im Film, dass das eine, das ihn auszeichnet unter all den anderen Hochpolitikern, sein Sinn für Humor sei.
Ja, es ist ein poppiger Film, schnell, informationsüberfüllt, actionreich und zugleich charakterbasiert. Ein Film, der Politik ins Gangstergenre überführt, der nicht Tatsachen vorführen, sondern das Innere der Macht darstellen will. Der spannend ist, auch wen man nur zur Hälfte kapiert (weil so viel vor sich geht). Und der natürlich auch in Hinblick auf heutige Berlusconijahre gesehen werden will.
Fazit: Eine Politikerbiographie, die als Gangsterfilm daherkommt genau richtig für Andreotti, den Mächtigen Italiens, dem seine vermuteten jahrzehntelangen Mafiaverbindungen nie nachgewiesen werden konnten