Nichts als die Wahrheit: Mit Action-Sequenzen und Spannung aufbereiteter, fiktiver Justiz-Thriller um Josef Mengele, der aus seinem Exil zurückkehrt, um sich deutschen Gerichten zu stellen.
Ein heißes Eisen haben sie angepackt, Roland Suso Richter und die Helkon-Produzenten, und sie hatten sogar den Mut, es zu einem Kinostoff zu schmieden, der eher Politthriller als Ethikdiskurs sein will: Josef Mengele lebt, und er will erzählen - vor einem deutschen Gericht.
Der Weg dorthin ist zunächst weit, in Argentinien hat der „Todesengel von Auschwitz“ sich verborgen. Als Beweis, daß er der ist, den alle seit 1985 für tot halten, schickt er dem Berliner Anwalt Peter Rohm seine SS-Uniform als Geburtstagsgeschenk. Rohm, ein aggressiver Jurist und Mengele-Fachmann (eine Tatsache, die der Film mehrfach behauptet, aber nie zeigt), hat gerade genug Zeit, um neugierig zu werden, da wird er von den Helfern des Nazi-Arztes gekidnappt und nach Südamerika gebracht. Gemeinsam mit dem schwerkranken Mengele kehrt er zurück, doch dessen Ankündigung, Rohm werde ihn vor Gericht verteidigen, weist er zunächst entrüstet zurück. Rohms inneren Disput gewinnt schließlich - einer muß es ja machen - der ehrgeizige Anwalt, und einer der spektakulärsten Prozesse der Nachkriegszeit wird eröffnet.
Damit werden die Dinge verzwickter. Die Frage, wie kann man einen Unmenschen überhaupt nach den Maßstäben eines modernen Rechtsstaates verteidigen, haben sich die Drehbuchschreiber - ursprünglich zwei Amerikaner, die der Fernsehautor Johannes W. Betz für die Endfassung beerbte - auch gestellt. Ihre Antwort bestimmt den zweiten Teil des Films, der nach einem spannungs- und actiongeladenen Entrée nun die großen deutschen Themen in den Gerichtssaal wuchtet: Mengele, unterstützt von mächtigen Schattenmännern, verlockt Rohm mit intimen Berichten zu einer Verteidigungsstrategie, die ihn als Opfer seiner Zeit portraitieren soll. Götz George, bemerkenswert befreit von jeden Manirismen, macht in seiner wunderbaren Darstellung aus Mengele einen bleichen, diabolischen Manipulator, der wie die Spinne im Netz in seiner Panzerglaskabine hockt und schon mal mit spitzgefeilten Fingernägeln ein Ei ißt. Kai Wiesingers große Leistung besteht darin, George die Effekte zu überlassen und als Anwalt Rohm den um rechtes Handeln bemühten Jedermann zwischen Gewissenhaftigkeit und -losigkeit zu geben: „In jedem Menschen steckt ein Stück Mengele“, sagt er schließlich, nachdem er seine Verteidigung ganz auf die öffentliche Diskussion über Euthanasie ausgerichtet hat. Ein Zynismus, der auch die notwendige Entrüstung hervorruft, zugleich aber immer weiter von der eigentlichen Ungeheuerlichkeit der Situation fortführt. Die spannende Idee, das nationale Unbehagen auf einen (Schau-)Prozess zu fokussieren und damit die Stabilität der Staatsmoral an sich auf die Probe zu stellen, wird schließlich von einer etwas bemühten Recherche-Jagd übertönt, deren Höhepunkt im Geständnis von Rohms Mutter besteht, früher als Krankenschwester selbst in einer Nervenheilanstalt die Todesspritze gegeben zu haben.
Nicht, daß das den Filmgenuß an sich beeinträchtigte. Roland Suso Richter, der erneut sein enormes Talent für intensive Kinobilder und Überraschungsmomente zeigt, zieht die Geschichte mit zahlreichen Actionsequenzen straff bis zu ihrem moralisch einwandfreiem Schlußplädoyer durch. Nicht alle zur Spannungssteigerung herangezogenen Story-Elemente werden aufgelöst, doch die Atmosphäre von Paranoia und Bedrohung, ein Gefühl der labilen Stimmung in der Bevölkerung und eines noch immer funktionierenden Nazi-Netzwerks treffen den richtigen Nerv, um dem Zuschauer an einen brisanten Thriller glauben zu lassen.
Vielleicht mag es vermessen sein, von einem Film, der mit Auschwitz aufwartet, relevante Impulse zu erwarten. Daß man aus Mengele in jedem Fall packendes Kino machen kann, haben die Filmemacher gezeigt. evo.