St. Pauli Nacht: Polaroidartige Kiezimpressionen von Deutschlands Erfolgsregisseur Sönke Wortmann.
Ein attraktiv besetzter, inszenatorischer und atmosphärischer Kontrast zum oft von ihm beschrittenen Komödienterritorium gelingt Erfolgsregisseur Sönke Wortmann mit diesem Porträt einer „St.Pauli Nacht“, das angenehm zurückhaltend und platte Theatralik aussparend, im Polaroidstil in die Biografie einer Reihe von Menschen eintaucht, deren individuelle Tragödien und Glücksmomente ein allgemeines Bild vom Kiezleben liefern. Ungeachtet seiner großen kommerziellen Erfolge ist „St. Pauli Nacht“ Sönke Wortmanns lang vermißte Antwort auf „Kleine Haie“, dürfte sich aber ohne die in „
Der bewegte Mann„, „Das Superweib“ oder „Der Campus“ gezeigte Annäherung an den breiten Geschmack an der Kasse schwerer tun als diese Hit-Trilogie.
Wortmanns zweiter Hamburg-Film in Folge, eine vom Autor selbst vorgenommene Adaption von Frank Göhres Roman „St. Pauli Nacht“, beginnt vital und sexy mit Ex-Zuhälter Johnny (Kinotyp: Benno Fürmann), der - aus dem Knast entlassen - mit Freundin Steffi (Doreen Jacobi) ein bürgerliches Leben beginnen will. Gäbe es da nicht eine telefonische Morddrohung und den Kiezpaten Brilli (Christian Redl), der sich von Johnny verpfiffen glaubt. Johnnys Henker aber wird der Zufall sein, der ihn am falschen Ort und zur falschen Zeit auf die Straße schickt, als der mehrfach gedemütigte Postbote Manfred (die stärkste Figur des Films: Armin Rohde) Amok läuft und nicht nur einen Pitbull von den Pfoten holt. Von diesem kleinen Blutbad ausgehend, blendet der Film zurück, liefert Manfreds Motive nach und springt zu anderen Personen über, um auch hier mit einer elliptischen Erzählweise, Entscheidendes zunächst aussparend und später vervollständigend, nach der Liebe in ihren unterschiedlichen Stadien zu fahnden: die zart-romantische Anbahnung (Oliver Stokowski, Valerie Niehaus), die folgende Verbitterung (Axel Milberg, Maruschka Detmers), der traumatische Gefühlsverrat. Als eine Art Reiseführer durch den Lebensreigen und Verbindungsknoten der einzelnen, nicht gleichwertig überzeugenden, aber durchgehend ansehnlichen Episoden funktioniert ein junger Taxifahrer (Viva2-Moderator Ill-Young-Kim fällt von der übrigen, gut disponierten professionellen Besetzung ab), der vom Drehbuch mit dem schwächsten Nebenplot bedacht wird, wenn die attraktive Maruschka Detmers in einem emotional-sexuellen Notstand ihm unbegründet große Aufmerksamkeit schenkt. Mit attraktiven Breitwandbildern und Gespür für Timing und lakonische Zurückhaltung führt Wortmann seine Impressionen zu einem etwas abruptem Ende. Daß diesen, im Unterschied etwa zu Robert Altmans „Short Cuts“, die große dramatische Wucht mit emotionalen Nachwirkungen fehlt, ist nicht in seiner Inszenierung, sondern der Vorlage und den vielen nicht immer gleichwertig interessanten, der kürzeren Laufzeit wegen auch oberflächlicher vorgestellten Figuren und Schicksalen begründet. Ein kleines Manko, das den Zuschauer allerdings kaum beeindrucken dürfte. kob.