Unter dem Sand: Feinfühliges Drama über eine hochintelligente Frau, die den Verlust des geliebten Ehemannes nicht verkraftet.
François Ozon ist immer für eine Überraschung gut. Nach der bitterbösen Familiensatire „Sitcom“, dem brutal-rauen Psycho-Thriller „Les amants criminels“ und der verstörenden Fassbinder-Adaption „Tropfen auf heiße Steine“ präsentiert er mit „Unter dem Sand“ sein wohl reifstes Werk. Die enigmatische Geschichte einer Frau, deren Mann plötzlich im Sommerurlaub verschwindet, wird zur einfühlsamen Studie über Trauer, Verlust und Unvergänglichkeit der Liebe.
Eigentlich grenzt es an ein Wunder, dass dieser außergewöhnliche Film überhaupt entstand. François Ozon erregt zwar mit seinen Arbeiten Aufsehen, aber wenn es um die Finanzierung geht, wird auch im sonst so cinephilen Frankreich das Geld mal knapp. So musste die Produktion unterbrochen werden, verzögerten sich die Aufnahmen zum zweiten Teil. Zeitweise erwog man gar, auf Videomaterial zu drehen und einigte sich letztendlich auf Super-16, was visuell schon wegen der notwendigen Unterschiedlichkeit der Lichtquellen kaum auffällt, da die Erzählung in zwei Jahreszeiten spielt: im Sommer am Strand als Prolog und primär indoor im Winter als Umgang mit Verlust und Identitätskrise. Als Kind erlebte Ozon während der Ferien mit den Eltern in den Landes wie ein Mann vom Baden nicht mehr zurückkehrte. Das Bild der Frau, die allein mit dem Gepäck des Gatten nach Hause fuhr, grub sich in sein Gedächtnis ein - Ausgangpunkt für ein dunkles Drama über die Verdrängung von Tod. Wie in jedem Jahr verbringen Marie und Jean, ein Paar in den Fünfzigern, ihren Urlaub an der Atlantikküste. Während Marie kurz am Strand einschläft, geht ihr Mann schwimmen und verschwindet spurlos. Der Strand wird abgesucht, das Wasser - ohne Resultat. Es gibt keine Leiche und somit einen Hauch von Zuversicht. Nach dem ersten Schock verweigert sich die Frau jeglicher Trauer, klammert sich an die Vorstellung, dass er noch lebt, schützt sich durch Verdrängung gegen die grausame Wirklichkeit. So ist Jean wie ein Geist in der Wohnung präsent, sie erzählt ihm ihren Tagesablauf, von Freunden oder vom Job, kauft ihm sogar eine Krawatte. Sie versprüht Energie, zeigt keine Anzeichen von Niedergeschlagenheit und schwebt durch eine Scheinwelt. Ihre Freunde wollen ihr nicht wehtun, spielen das Spiel mit, im bürgerlichen Ambiente gilt die Frage, ob sie den empfohlenen Psychologen aufgesucht hat, schon fast als faux pas. Erst einem anderen Mann gelingt es, ihren seelischen Panzer aufzubrechen. Am Ende gibt sich Marie ihrem Schmerz hin, Hoffnung auf einen Neubeginn. Die Zeit heilt nicht alle Wunden, macht sie aber erträglicher. Ozon verzichtet auf das klassische Zutaten-Repertoire wie Entdeckung eines Doppellebens, einer Geliebten oder kriminelle Aktivitäten. Er konzentriert sich auf die Entwicklung einer Frau und ihre Flucht in die Illusion, erzählt eine einfache, fast intime Geschichte von Liebe und Trauer(arbeit), benutzt dabei ein Minimum an Musik und Kamerabewegungen. Im Mittelpunkt steht die psychologische Wandlung der weiblichen Figur von der Verweigerung bis zur Akzeptanz des Unausweichlichen, bis zur befreienden Katharsis. Charlotte Rampling trägt den Film mit ihrer Ausstrahlung, da „sitzt“ jeder Blick, jede Geste. Sie ist schön und verletzbar, eine schauspielerische Offenbarung - nicht trotz, sondern gerade wegen Alters und ihrer Falten. Die Poesie dieser melancholischen Reise in die „terra incognita“ der Psyche klingt noch lange nach. Ozon gelang ein filigranes Meisterwerk, das mehr als nur erwachsene Zuschauer begeistern sollte. mk.