Meerumtoste Steilküsten, felsengesäumte Sandstrände, alte Atlantikwall-Bunkeranlagen, weite Grasflächen, ein verzaubertes Wäldchen mit sonnendurchfluteten Dunstschwaden, ein verwunschener, fliegenumsurrter, halbverwitterter Hinkelstein, ein Waldsee, in dem ein totes Reh schwimmt Wolfgang Fischer weiß alles aus der Landschaft der Bretagne zu holen, die Kameramann Martin Gschlacht majestätisch und subtil in Filmbilder zu verwandeln versteht. Hier steht das Gewaltige neben dem Geheimnisvollen, die Offenheit neben dem Intimen, hier kann man sich in der ewigen Natur verlieren.
Hier lässt Fischer sein Familien-Psychodrama spielen. Hierher fahren Anton, seine Mutter, deren Liebhaber und dessen Hund in Urlaub. Der Ferienbungalow ist ein großes, elegantes Häuschen mit langer Fensterfront, von der die Zimmer abzweigen das Abgeschlossene ist offen einsehbar, und in den Glasspiegelungen ist man immer auf sich selbst zurückgeworfen. Anton ist ein Läufer, und er ist doch eingesperrt in seiner eigenen kleinen Welt, lebt im Internat ohne Freunde, ist getrennt von der Mutter, vermisst den Vater, der sich umgebracht hatte.
Hier begegnet Anton dem wilden David und dessen wilder Gefährtin Katja. Die, mit ihrem sphinxhaften Lächeln, bleibt stets mysteriös; er, David, hat ein dreckiges Grinsen drauf, auch einen Zug halb verborgener Aggressivität, und er lässt die Gewaltbereitschaft raus. Beide üben eine heftige, auch erotische Faszination aus: Bei der ersten Begegnung packt David Anton an den Hintern; später fordert Katja ihn auf, ihr ein Sandkorn aus dem Auge zu lecken
Sie spielen Psychospielchen, mit allen und jedem, in ihnen lebt die Anarchie: sie wohnen im leeren Nachbarbungalow, der mit dem längst verlassenen Pool im Garten.
Viele kleine, feine Beobachtungen enthält Fischers Film. Als Darsteller konnte er einige der talentiertesten Nachwuchskräfte gewinnen: Ludwig Trepte als etwas verstörter Junge, der irgendwo dazugehören will, Alice Dwyer und Frederick Lau als seltsames Paar, das Freundschaft bedeuten könnte. Fischer entwickelt sorgsam seinen Plot, mit langsamen Steigerungen, mit kleinen Höhepunkten des Bizarren, die sich in den Alltag einfügen.
Doch Fischer hat zuwenig Vertrauen in seinen Film, auch in seine Zuschauer. Wenn es immer um die fehlende Zugehörigkeit, um Einsamkeit, um Unbehagen an der Familie, um das schlimme innere Geheimnis des Menschen geht, darf man den Zuschauer im Erschließen von Zusammenhängen nicht unterschätzen. Dass das Geheimnis des Films weniger umkreist denn direkt angegangen wird: das schadet letztendlich dem Ganzen. Zwar wird es gegen Ende richtig intensiv, wenn wir uns dem inneren Geheimnis nähern; doch dem Konzept der Parallelität von Innen und Außen, von Gefangen und Frei, von Beherrschend und Sensibel, von Offen und Intim kommt man doch zu früh auf die Schliche.
Freilich: Das Zusammenspiel von Landschaft, Psyche, Charaktere und bewusst gesetzter Inszenierung bewirkt doch eine suspensevolle, abgründige Atmosphäre.
Fazit: Ein Psychodrama, das in seinen besten Momenten (und davon gibt es nicht wenige) Beklemmung und Verstörung bewirkt so, wie es sein muss.